Die Anfänge 1909-1927: Elternhaus, Schulzeit, Buchdrucker- und Schriftsetzerlehre, Akademiezeit

Helmut Andreas Paul Grieshaber – kurz genannt HAP- wird am 15. Februar 1909 im oberschwäbisch-barocken Rot an der Rot als erstes von insgesamt vier Kindern geboren.

In jenem Jahr, in dem Ernst Barlachs Holzplastik „Sorgende Frau“, die Radierung „Arbeitslosigkeit“ von Käthe Kollwitz oder Max Liebermanns bekanntes Gemälde „Selbstbildnis“ entsteht.

Grieshabers Familie zieht 1912 nach Nagold um und HAP wird dort eingeschult, später wechselt er an die Realschule. 1920 siedeln sie in die Achalmstadt Reutlingen über und die schulische Ausbildung führt der junge HAP an der Johannes-Kepler-Oberrealschule – heute Gymnasium – fort.

Im Jugendalter interessiert er sich für sozialistische Gruppen und die Arbeiterjugend, mit 13 Jahren erhält er einen Preis in einem Kinderzeichenwettbewerb, seine Begabung findet erste Beachtung. Handwerkliches Geschick und künstlerische Invention werden transparent.

In der 7. Klasse verlässt er die Schule aufgrund mangelnder Leistungsnachweise. Er geht hinein in die künstlerische Freiheit, findet zum Schneiden, der Linolschnitt „Achalm“ entsteht 1922.

Nach dem frühen Abgang aus der Schule legt er der Existenzsicherung wegen im Oktober 1927 in der Reutlinger Druckerei Fischbach seine Gesellenprüfung als Buchdrucker und Schriftsetzer ab.

Parallel dazu studiert er ab 1926 bei Professor Friedrich Hermann Ernst Schneidler an der Württembergischen Staatlichen Kunstgewerbeschule in Stuttgart – der späteren Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Er belegt die Fächer Zeichnen, Entwerfen und Schriftschreiben.

Schneidler, der zwischen 1921 und 1948 dort lehrt und die Fachabteilung für graphische Künste und Buchgewerbe innehat, fordert seine Schüler auf „dreierlei zu pflegen“:

„Festigkeit des künstlerischen und handwerklichen Gewissens, die bewegliche Erfindungsgabe und Forscherfreude, die Förderung des Strebens nach dem Einfachen und Notwendigen“. (1)

Als Begründer der „Stuttgarter Schule“ entwirft und etabliert der gebürtige Berliner Druckschriften wie die Schneidlersche Legende, Fraktur, Mediaeval, Latein, den Wassermann.

 

1928 -1933 Weltwirtschaftskrise in Europa: Hungersnot und Wanderjahre, London, Ägypten, Griechenland

Obwohl Grieshabers Vater in den „höheren Dienst“ berufen und als Vermessungsrat in Reutlingen und Tübingen tätig ist, erhält der Sohn keine finanzielle Unterstützung und der endgültige Wechsel und das kontinuierliche Studium an der Akademie scheitern.
Grieshaber bemüht sich um ein Stipendium – ohne Erfolg.

1928 arbeitet er bei der Stuttgarter Druckerei Stähle & Friedel, das Anstellungsverhältnis dauert von November 1928 bis April 1929, anschießend doziert er an der Reutlinger Handelsschule mit dem Thema Gebrauchsgrafik.

Er sucht nach Verdienstmöglichkeiten, geht auf „Wanderschaft“ und reist 1929 nach Mittel- und Norddeutschland, in die Schweiz – in seinem Pass ist als Einreisedatum der 1.7.1929 eingetragen.

Ab 1929 kann er daraufhin als Externer wieder in Stuttgart Fuß fassen, als „Meisterschüler“ bei Schneidler. (2) Er pflegt Freundschaft mit gleichgesinnten Mitstudenten wie Erich Mönch und Karl Hauff.

Grieshaber leidet Hunger, der Alltag ist geprägt vom ständigen Kampf ums Überleben. Die Weltwirtschaftskrise beginnt mit Kursstürzen an der New Yorker Börse im Herbst des Jahres 1929. Industrieproduktionen und Welthandel gehen zurück, Unternehmen werden zahlungsunfähig, die Arbeitslosigkeit steigt massenhaft an, soziales Elend wächst.

Maler wie Otto Dix entwerfen in dieser Zeit scheinbar hoffnungsfrohe Gegenwelten wie die „Spielenden Kinder“ und auch Käthe Kollwitz verweist mit ihrem Holzschnitt „Maria und Elisabeth“ von 1929 auf die Möglichkeit einer ins positiv gerichteten Zukunftsutopie im Sinne eines Licht-ins Dunkle-bringen.

Grieshaber engagiert sich ebenso in seinem Umfeld: beim avantgardistischen Theater und Agit-prop und gestaltet als Mitwirkender Plakate und Bühnen.

Zwischen 1931 und 1932 reist Grieshaber für sechs Monate nach London, studiert an der Royal Academy Kunst, sammelt Wissen und Anregung in der Museenlandschaft.

Er ist nicht allein, denn die aus einer vermögenden Basler Kaufmannsfamilie stammende Marguerite Ammann begleitet ihn. Sie hatten sich bei Schneidler kennengelernt.

Die Reisedaten sind dokumentiert: „Am 11. März Weiterreise mit dem Ziel Vorderer Orient, mit Transit-Visum durch Frankreich, Route Paris-Marseille; Weiterfahrt mit dem Schiff über Neapel nach Port Said. Einreise in Ägypten am 24.März 1932.“ (3)

Ammann ist Malerin, Graphikerin und Illustratorin, setzt sich mit urbaner Landschaft und der Natur auseinander, bearbeitet mythologische und literarische Sujets.

Die Reise sollte „die Begegnung mit anderen Verhältnissen und älteren Kulturen eine Existenz als freischaffender Maler und Graphiker öffnen und bestimmen, es ihm ermöglichen, die seinen schon sehr speziellen Vorstellungen entprechende Ausdrucksweise zu finden.“ (4)

In einem nordöstlichen Viertel von Kairo, Ezbet el Nakhl, verbringen Grieshaber und die Schweizerin acht Monate. Sie leben in einem Fellachendorf nahe der Wüste, und reiten – beide lieben sie die Pferde – in die Wüste hinaus, die Stille aufnehmend. Sie studieren dort Relikte archaischer Kulturen, das Licht und die Farben des Landes.

In dieser Zeit kommt auch der Künstler und Freund Klaus Vriesländer, den er bei Schneidler kennenlernt, nach Ägypten. Doch Grieshaber und Vriesländer verpassen sich, er selbst reist nach Griechenland weiter, da sein Visum in Ägypten nicht mehr verlängert wird.
Holzschnitte wie „Tänzerin (Arabische Tänzerin)“ von 1932 erinnern an den dörflich-arabischen Alltag der Bauern, Fischer, Händler und der Nomaden in Ägypten.

In Griechenland treffen sie sich wieder: Grieshaber und Vriesländer, der gebürtige Münchner, Sohn des Komponisten und Musikschriftstellers Otto Vriesländer. „Vries“, wie er genannt wird, arbeitet 1929 als Illustrator am Ullstein-Lexikon mit, ist für Verlage in Zagreb tätig.

Ab Frühjahr 1932 befindet sich Vriesländer in Athen, Grieshaber und er tauschen sich aus mit Intellektuellen wie dem Architekten Dimitrios Pikionis oder dem Maler und Schriftsteller Giulio Caimi, der sich mit dem antiken Schattentheater beschäftigt. Auch zu Photis Kontoglous, dem späteren Direktor des Byzantinischen Museums, haben sie Kontakt.

„Gries“ und „Vries“ planen nach ihrer Zusammenkunft in Athen eine deutschsprachige „Deutsche Zeitung“ herauszugeben, letzterer mit der Intention „Kein politischer Inhalt. Niveau etwa wie: Neue Rundschau oder Kunstwart. II Gemischter Inhalt. Über Malerei, Kunst und Litteratur, Musik, Philologie, Archäologie. Eventuell auch Feuilleton.“ (5)

Grieshaber entdeckt während dieser Zeit seine Leidenschaft für das Karaghiosiz-Schattentheater. Im Mittelpunkt steht der Hanswurst, das Kasperle des türkischen Schattenspiels und er berichtet:

„Zu orientalischer Musik bewegten wir die dunklen Schattenbilder des Karaghiosiz auf der hellen Lichtwand und erfanden das Spiel während wir es machten. Griechische Fischer, Gepäckträger und Gaukler, wir spielten zusammen die Variationen der alten griechischen Komödie. Wir malten die Plakate, schnitten die Figuren aus Karton, Leder oder Kamelshaut, was wir gerade hatten. Wir spielten ohne Souffleur, immer waren wir Dichter, Maler und Techniker und im Herzen unschuldig.“ (6)

 

1933-1939 Rückkehr ins nationalsozialistische Deutschland: Hilfsarbeiter, Hinfindung zum Holzschnitt und Heidegger-Vorlesungen

Währenddessen gerät das Projekt der kulturpolitischen „Neuen Deutschen Zeitung“ in den Bannstrahl des deutschen Gesandten in Athen und es wird mit Folgen gedroht. Grieshaber reist aus Griechenland ab und kehrt 1933 – in dem Jahr als Reichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler beruft – in die Achalmstadt zurück.

Es ist die Zeit, in der die bildende Kunst in Deutschland sich einer zunehmenden Ausrichtung durch die Nazis anzupassen hat, sich realistischer Gegenständlichkeit dogmatisch beugen muss.

In den Kinos laufen Filme wie „Hitlerjunge Quex“ nach einer Romanvorlage von Karl Aloys Schenzinger oder „Der Rebell“ von Luis Trenker.
Grieshaber arbeitet als Hilfsarbeiter im druckgraphischen Bereich, spielt mit dem Gedanken Theologie zu studieren – er wird observiert und es findet eine Hausdurchsuchung statt. Der Inhaber der Reutlinger Kunstanstalt Erwin Sautter lädt Grieshaber zur Mitarbeit ein und er entwickelt sein lebenslanges Motto „Malgré tout“ – trotz alledem.

Konsequent wendet er sich dem Medium Holzschnitt zu. 1935 entsteht die – 30 Holzschnitte umfassende – Folge „Die Passion“, die Formsprache der gotischen Fenster der Reutlinger Marienkirche rezipierend, metaphorisch die zeitliche Folie interpretierend.

1936 dann erscheint „H.A.P Gries und K. Vries; Neugriechisches Tagebuch“ im Rahmen der „Reutlinger Drucke“.

1937 das Album „The swabian alb – a book of woodcuts“, eine Hommage an seine schwäbisch-arkadische Wacholderalb.

1939 hört er Vorlesungen des Existenzphilosophen Martin Heidegger an der Freiburger Universität, der dort ab 1928 lehrt.

Mit dem Jahr des Kriegsausbruchs erscheint auch Grieshabers „Pan“ im Gewande eines Flöte spielenden, lächelnden Wesens inmitten eines Tannwaldes.

Die Figur des Grieshaberschen Pans wird insbesondere in der Publikation „Im Augenblick der Gefahr“ ausführlich beleuchtet und wird auch in dieser Monografie in den Fokus der Reflexion gerückt.

 

1940-1946: Soldat, Ehemann, Verwundeter, Drucker im Untergrund, Gefangener, Rückkehrer

Deutschland überfällt Polen, der Zweite Weltkrieg bricht aus, Grieshaber erhält seine Dienstverpflichtung und ist in der Maschinenfabrik Wagner beschäftigt, 1940 dann wird er zur Wehrmacht einberufen.

Er erleidet einen „traumatischen Autounfall“ und wird in die „Heimatlazarette Reutlingen und Tübingen eingeliefert“. (7)

Nach dem Tod von Grieshabers Vater 1941 heiratet er kurz darauf die aus Eningen unter Achalm stammende Lena Krieg, Pazifistin, Soziologin und Doktorandin bei Max Horkheimer, die „wegen des Verdachts auf Schizophrenie von Deportation bedroht“ ist. (8)

Die Gestapo nimmt Lena Krieg ins Visier, werden doch Personen aus dem Horkheimer-Umfeld als verdächtig eingestuft.

1941 wird Grieshaber ins elsässische Haguenau zur Fernsprech-Betriebskompagnie versetzt, Lena Krieg geht mit, arbeitet dort in der Stadtbibliothek. Im Sommer entstehen Grieshabers „Plastische Meditationen“ der „presse clandestine“, einer Aktion im Untergrund. Hier statuiert er:
„Die Kunst ist nichts für Feiglinge. Nur der Liebende erträgt und verlangt Aufrichtigkeit und Gegenwart.“ (9)

Grieshaber hat Kontakt zu dem Stuttgarter Künstler Willi Baumeister und Wilhelm Geyer, der dem Kreis um die Geschwister Scholl angehört.

1945 gerät er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, notiert auf Zuckersackpapier Gedanken zu Zeitfragen und das Leben im Lager, zusammengefasst im Werk „The Big Show“.

„Le Baron et la Gestapo“ handelt von seinem Mitgefangenen Raban Göler aus Ravensburg und dessen Geschichte. Göler wird aufgrund regimekritischer Äusserungen 1942 ins Wehrmachtsgefängnis Berlin-Tegel gebracht – schon Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp waren dort inhaftiert.

Nach weiterer Gefangenschaft im belgischen Erbisoeul und der Untertagearbeit im Bergwerk wird Grieshaber aufgrund einer Malariaerkrankung nach Hause entlassen.

 

1946 bis 1950: Picasso-Vorträge, Ausstellungen und Vorträge

Das Gartenhaus seiner Eltern im Merat in Eningen unter Achalm dient von da an Lena und HAP Grieshaber als Wohnhaus.

Grieshaber hält 1946 zuerst in Ulm, dann in Tübingen, Reutlingen, Stuttgart und Heidelberg Lichtbildvorträge zu Picassos „Guernica“.

1937 entstanden, erinnert es symbolisch, expressiv-verzerrt-grell, an die Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs, als deutsche Flieger – mit italienischer Assistenz - das Baskendorf zerbomben und ermahnt als Antikriegsbild spätere Generationen darüber zu reflektieren.

1947 initiiert er mit Künstlern wie Hermann Krimmer, Eugen Maier, Werner Oberle, Richard Raach, Walter Renz und Fritz Ruoff „Die Freunde“.

Ausstellungen in Stuttgart, München und Beverly Hills folgen.

Die erste grosse Überblicksausstellung mit seinen Werken wird vom „Studentenbüro für moderne Kunst“ ausgerichtet, dort stellt er seinen „Pan im Frühling“ von 1949 aus.

Er tauscht sich mit anderen Kunstschaffenden aus, darunter Erich Heckel, Karl Hofer, Karl Schmidt-Rottluff, Hans Purrmann, korrespondiert mit Raoul Ubac und Jean Dubuffet.

 

1950-1960 Anerkennung und Auszeichnungen: Lehrtätigkeit am „Bernstein“ und der Ruf an die Karlsruher Kunstakademie

Gleichzeitig protestiert er mit dem Flugblatt 1950 „Koreanische Mutter“ – Wort und Bild verschmelzend – gegen den Koreakrieg
Grieshaber wirkt bei der Neugründung des „Deutschen Künstlerbundes“ mit, bekommt 1951 den Kunstpreis Junger Westen“ in Recklinghausen verliehen und gerät mehr und mehr in den Focus der Öffentlichkeit.

Die Malerin und Schriftstellerin Riccarda Gohr – Künstlername Gregor – holt Grieshaber offiziell 1951 als Dozent an die Kunstschule „Bernstein“ bei Sulz am Neckar. Junge Menschen werden dort kunstpädagogisch und handwerklich ausgebildet, um in der Berufswelt zu bestehen. Riccardas Bruder, der Bildhauer Hans Ludwig Pfeiffer und der Maler und Graphiker Paul Kälberer hatten die Schule 1946 gegründet.

Kurt Frank, Emil Kiess, Lothar Quinte, Franz Bucher, Heinz Schanz, Herbert Schwöbel, Gerhard Köhler stehen Grieshaber nahe, unterstützen avantgardistische Thesen wie „Die Schule dient der Kunst. Um dafür frei zu sein, müssen wir lernen, die gesellschaftlich notwendigen Arbeiten zu handhaben.“ (10)

Dort trifft Grieshaber das Ehepaar Max und Margot Fürst – letztere wird das Grieshabersche Werk, dessen Pflege und systematische Aufarbeitung bis zu ihrem Tod 2003 begleiten.

Grieshabers Hinwendung zum großformatigen Holzschnitt erfolgt auf dem „Bernstein“, einem ehemaligen Klostergebäude mit hohen lichten Räumen: 1952 entsteht das Werk „Deutschland“.

In diesem Jahr lässt er sich von Lena Krieg scheiden, heiratet 1953 Riccarda Gohr, 1954 kommt Tochter Ricca zur Welt.

1955 folgt der Ruf nach Karlsruhe als Nachfolger Erich Heckels, wo er Schüler wie Walter Stöhrer unterrichtet. 1960 legt er das Amt aus eigenem Entschluss niederlegt: Schüler fallen aufgrund von Prüfungsrichtlinien durch, die noch aus dem Dritten Reich stammen.

Europaweit wird die Kunstwelt auf den Holzschneider aufmerksam und die Zusammenarbeit mit Schriftstellern intensiviert sich:
Zum 50. Geburtstag erscheint die erste Grieshabermonografie – verfasst von dem Tübinger Kunsthistoriker Wilhelm Boeck.

Grieshaber nimmt an der „documenta II“ in Kassel teil.

 

1960-1981 Bloch, Böll, Benjamin und der Bauernkrieg

Von 1960 bis 1962 arbeitet er mit Heinrich Böll und Walter Warnach an der Zeitschrift „Labyrinth“, die von Werner von Trott zu Solz herausgegeben wird.

1960 erhält er den „prix de l´union des entreprises typographiques de Yougaslavie“, 1961 den Darmstädter Kunstpreis, 1962 den Corneliuspreis der Stadt Düsseldorf.

1963 reist er auf dem Rücken seiner Islandstute „Sveina“ von seinem Haus auf der Achalm über die Wacholderalb und durch die oberschwäbische Natur ins Franziskanerinnen-Kloster Sießen bei Bad Saulgau. Seine Erlebnisse finden ihre Interpretation in Form der 39teiligen Serie „Osterritt“.

1964 initiiert der Holzschneider die Zeitschrift „Engel der Geschichte“, die bis 1981 mit insgesamt 23 Heften erscheint und auf politische, geschichtliche zeitthematische Ereignisse in Bild und Text reagiert. Grieshaber rezipiert die Idee des Geschichtsphilosophen Walter Benjamin, mit der er sich nachweislich seit Mitte der 50er Jahre beschäftigt.

1965 bis 1966 entsteht die, im Dresdner Verlag der Kunst publizierte Buchausgabe des 40 Farbholzschnitte umfassenden Werkes „Totentanz von Basel“, die auch in Leipzig und Essen gezeigt wird.
HAP Grieshaber gelingt es in Kooperation mit dem Cheflektor Rudolf Mayer – zum erstenmal als westdeutschem Künstler - mit einem Werk in der ehemaligen DDR präsent zu sein.

Sein Ziel ist es, Solidarität unter Ost- und Westdeutschen zu stiften. Er schneidet die Blätter in umgekehrter Reihenfolge, beginnt mit dem „Maler“ und beendet sie mit dem „Papst“, lässt den Gedanken der vanitas, der Vergänglichkeit mit aktuellen Zeit- und Lebensbezügen in Dialog treten.

Im August 1967 lernt Grieshaber die Stuttgarter Lyrikerin Margarete Hannsmann kennen, da deren Lebenspartner Johannes Poethen auf die „Achalm“ fährt, um Bilder zu seinen Gedichten zu bekommen.

Es ist der Beginn einer intensiven Beziehung, die sich auch durch gemeinsame Werke in Wort und Bild manifestiert. 1968 schneidet und lithografiert er Liebespaare inmitten der schwäbisch-arkadisch anmutenden Natur in seinem grossen Mappenwerk „Die rauhe Alb“, eine Hommage an die Alb und die neue Frau an seiner Seite.

Dies ist auch die Zeit der Studentenunruhen, insbesondere in Städten wie Berlin, Paris, Kopenhagen, Rom, Tokio. Der Deutsche Bundestag verabschiedet das Notstandsgesetz zum Schutz der Demokratie in Notzeiten. Aufrüstung und atomare Bedrohung beherrschen den politischen Alltag. Und der homo politicus Grieshaber merkt an:

„Es ist nicht gut was im Zeitlichen geschieht! Es ist ein Verbrechen an allem was bislang darüber hinausgetragen hat.“ (11)

1968 erhält er das Ehrendiplom der CSSR zu „1. Exposition internationale de la gravure sur bois“ und den „Kulturpreis“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 1970 dann ehrt ihn die Schweiz mit dem Balsthaler Kunstpreis, die Stadt Nürnberg 1971 mit dem Dürerpreis.

1969 besucht Ernst Bloch Grieshaber auf der Achalm.

1972 wird dem Künstler die Ehrensenatorenwürde der Eberhard-Karls-Universität Tübingen verliehen.

1975 ist der 450. Jahrestag des Bauernkrieges und Grieshaber beschäftigt sich intensiv mit dieser Thematik, gibt auch einen „Geschichtsengel“ heraus und er formuliert im Vorwort:

„Der Bauernkrieg war die letzte feststellbare Eruption von dem, was vor 450 Jahren als Volk begriffen werden konnte. Seither hat sich, was darunter einmal verstanden worden ist, aufgelöst in Kämpfe, die eindeutiger bestimmt werden müssen. Seit der Unterdrückung der großen Utopie gibt es auch wieder den, den Bloch meint: ´Dies alles aber traf auf einen, der im Dunklen, Geraunten, Kommenden ringsum nichts hörte, als was in ihm selber sang.´“ (12)

Noch im gleichen Jahr erfolgt die Verleihung der Goldmedaille der Internationalen Buchkunst-Ausstellung in Moskau für sein Werk „Pablo Neruda – Aufenthalt auf Erden“.

1976 stiftet Grieshaber zusammen mit dem Bildhauer Rolf Szymanski den „Jerg-Ratgeb-Preis“ und sieht ihn mit dem Anspruch verbunden, die Freiheit der Kunst und die Gewaltlosigkeit im Ringen um Menschlichkeit zu erhalten. Benannt ist der Preis nach dem Maler des „Herrenberger Altars“ (Staatsgalerie Stuttgart), der im Bauernkrieg auf Seiten der Bauern kämpfte, hingerichtet wurde und dessen Kunst heute noch seine politische Gesinnung zeigt, indem er die Wirklichkeit ungeschönt darzustellen versucht. 1977 erhält der Bildhauer Rudolf Hoflehner diese Auszeichnung.

1977 schneidet Grieshaber nach einem Titel des Dichters Nazim Hikmet die 13teilige Serie „Die Liebe ist ein Hemd aus Feuer. Eine neue Frau kommt in sein Leben: Es ist Jutta Lüttke, die 22 Jahre jüngere, im ostdeutschen Ludwigslust geborene, freischaffende Künstlerin, die am Ulmer Theater Bühnenbilder entwirft. Zwischen dem 24. April 1978 und dem 27. Februar 1981 verfasst er über 400 Briefe. Am 8. August 1979 formuliert der Holzschneider in einer erhebenden Metaphorik:

„Jutta/Du bist ein Engel, der mir jeden Tag erscheint, mich weckt und beflügelt.“ (13)

1978 erhält er den Leipziger Gutenberg-Preis, wird korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste der DDR, 1980 ehrt ihn die Stadt Konstanz mit ihrem Kunstpreis.

Am 12. Mai 1981 stirbt HAP Grieshaber in den Armen seiner zweiten Ehefrau Riccarda in seinem Haus auf der Achalm und wird auf dem Friedhof in Eningen unter Achalm beigesetzt.

Copyright by Iris Margarete Rall-Lorenz M.A / Dr. Gregor Kalivoda

 

ANMERKUNGEN

1 Schlegel, Hans K.: Schneidler. 34. Jahresgabe der Fachhochschule für Druck Stuttgart. Stuttgart 1982, S.7
2 Geiselhart, Catharina: Biografie HAP (Helmut Andreas Paul) Grieshaber. Holzschneider Drucker Maler Büchermacher Briefeschreiber Homme engagé, in: HAP Grieshaber Kunst am Bau. Tübingen 2014, S. 259.
3 Mayer, Rudolf: Tagröte. Der junge Grieshaber und seine Freunde. Stuttgart 1998, S. 108
4 Mayer; Tagröte, S.8
5 Mayer; Tagröte, S. 127
6 Grieshaber, HAP: Rotkäppchen und der Maler. Pfullingen 1964, S. 56
7 Geiselhart; Biografie HAP (Helmut Andreas Paul) Grieshaber, S. 260
8 Geiselhart; Biografie HAP (Helmut Andreas Paul) Grieshaber, S. S. 260
9 Mayer Rudolf (Hg.): Hap Grieshaber Plastische Meditationen. Vollständige Ausgabe mit Dokumentation. Schriften des Freundeskreises Hap Grieshaber. Stuttgart 1993, S.11
10 Grieshaber Bernstein Karlsruhe. Esslingen 1993, S.6
11 Grieshaber, HAP: Tagebuchnotiz vom 27.7.1968; in: Hannsmann, Margarete: Pfauenschrei. Die Jahre mit HAP Grieshaber. München und Hamburg 1986, S. 144
12 Grieshaber, HAP: Engel der Geschichte Nr. 22 Deutscher Bauernkrieg – 450 Jahre. Düsseldorf 1975, o.S.
13 Grieshaber, HAP: Briefe an Jutta 1978-1981. Herausgegeben von Margot Fürst unter Mitarbeit von Gerhard Fichtner. Ostfildern 1999, S.45